Jose Carlos Mariátegui      PERU KÄMPFT
UNA PUBLICACION DEL CIRCULO DE TRABAJO MARIATEGUI  EN ESPAÑOL Y ALEMAN
Peru kämpft
Nr. 11
Erwiderung auf die Position der MLPD zum Volkskrieg in Peru

In ihrer Ausgabe vom 31.8.2000 veröffentlichte die "Rote Fahne", das Zentralorgan der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschland (MLPD) einen Artikel mit dem Titel "Warum der Mythos des "Leuchtenden Pfades" in Peru so schnell seinen Glanz verlor". Darin wiederholt die MLPD eine Position, die sie bereits Ende der achtziger Jahre zum peruanischen Volkskrieg verbreitete, dieses Mal jedoch verbunden mit der Genugtuung, vermeintlich Recht behalten zu haben zu haben mit ihrer Einschätzung, daß der Weg der PCP falsch sei und unvermeidlich in die Niederlage führen müsse. Als Gruppe, die sich mit den Interessen des peruanischen Volkes und mit denen anderer unterdrückter Völker verbunden fühlt, halten es für notwendig, auf die Position der MLPD zu antworten, zum einen, weil sie eine Auffassung ausspricht, die von anderen geteilt wird, darunter möglicherweise auch ehemalige Befürworter, zum anderen, weil es wichtig ist, die Errungenschaften des peruanischen Volkskrieges zu verteidigen und die Fehler, die zu seinem Scheitern geführt haben, klar zu erkennen, damit Andere daraus lernen können. Denn es ist wahr, daß der Volkskrieg in Peru eine Niederlage erlitten hat, allerdings nicht aus den Gründen, die hier anführt werden.

Die MLPD geht in ihrer Kritik davon aus, daß eine sachliche Analyse des peruanischen Volkskrieges schwierig sei, da es nur spärliche Informationen darüber gibt, (was uns motiviert, die Dokumente der PCP verstärkt auch in deutscher Sprache zugänglich zu machen). Immerhin glaubt sie den - wie es heißt - "eher dürftigen Veröffentlichungen der PCP" entnehmen zu können, daß sich ihre politische Linie auf Phraseologie und Plattheiten stützt und nicht auf die "konkrete Analyse der konkreten Situation", wie Lenin fordert. Die Frage ist, auf welcher Art von Analyse oder Kenntnissen der Verhältnisse die Kritik der MLPD beruht, denn sie erinnert fatal an die Position der Gruppe PCP (Patria Roja), die sich Ende der sechziger Jahre von der PCP abspaltete und von der MLPD selbst mittlerweile als eine Partei bezeichnet wird, die sich "unter dem Einfluß des kleinbürgerlichen Parlamentarismus zu einer revisionistischen Partei" wandelte.

Die Argumentation der MLPD zielt im wesentlichen darauf ab nachzuweisen, daß der Weg der chinesischen Revolution, den der Vorsitzende Gonzalo aufgriff und weiterentwickelte, für Peru falsch und zum Scheitern verurteilt sei, weil sich die Verhältnisse beider Länder nicht vergleichen lassen.

Unter Berufung auf den Text "Warum kann die chinesische rote Macht bestehen?" den der Vorsitzende Mao 1928 verfaßte, als sich die chinesische Revolution durch den Verrat der sozialdemokratischen Kuomintang unter Tschiang Kai-chek auf dem Rückzug befand, stellt die MLPD die Behauptung auf, die Strategie der revolutionären Stützpunkte (und damit ein Volkskrieg vom Land in die Stadt, dessen zentraler Bestandteil sie sind) sei in Peru nicht angebracht, da die Bedingungen nicht erfüllt seien, die der Vorsitzende Mao in seinem Text anführt. Besonderer Nachdruck wird darauf gelegt, daß sich Peru im Unterschied zu China nicht in einer inneren Kriegssituation verschiedener reaktionärer Machthaber befand, es weder national noch international eine revolutionäre Massenbewegung gab und keine revolutionäre Situation bestand, als der Volkskrieg 1980 begonnen wurde, sondern eine Phase der Stabilisierung des reaktionären Staates einsetzte, und daß ferner die Revolution in Peru im Gegensatz zu China einem einheitlichen Staatsapparat gegenüberstand und folglich nicht den Handlungsspielraum besaß wie die chinesische Revolution. Nicht erwähnt wird die Grundbedingung, die der Vorsitzende Mao nennt, nämlich daß der Aufbau von revolutionären Stützpunkten nur in einem halbkolonialen Land, in dem es eine lokal begrenzte Agrarwirtschaft, d. h. keine einheitliche kapitalistische Wirtschaft, und eine Spaltungs- und Ausbeutungspolitik der Imperialisten gibt, möglich ist, dort jedoch der einzig richtige Weg ist, um die Revolution weiter zu entwickeln und zum Sieg zu führen. In "Aus einem Funken kann ein Steppenbrand entstehen" vertrat der Vorsitzende Mao außerdem die These, daß in einem halbkolonialen Land immer eine revolutionäre Situation besteht, da die rückständigen sozialökonomischen Strukturen, auf der die Organisationen der reaktionären Klasse beruhen, schwach sind, und sich die revolutionären Kräfte schnell entwickeln können. Folglich hängt ein revolutionärer Aufschwung von der Entwicklung der subjektiven Bedingungen, vor allem von dem Bestehen einer kommunistischen Partei mit einer richtigen Linie und einer revolutionären Armee ab, zwei weitere Voraussetzungen, die er für das Überleben der revolutionären Stützpunkte nennt, die der Artikel der MLPD jedoch mit keinem Wort erwähnt. Um nicht in einen offenen Konflikt mit den Ideen des Vorsitzenden Mao zu kommen, schreibt dieser vielmehr die These der ständigen revolutionären Situation in den unterdrückten Nationen dem Vorsitzenden Gonzalo zu und bezeichnet sie als vollkommen unmarxistisch.

Die Argumentation der MLPD gegen den Volkskrieg und die revolutionären Stützpunkte zeigt nicht nur Unverständnis des Maoismus, sondern die Unfähigkeit aus der konkreten Situation die allgemeinen Gesetze abzuleiten. Es wird darauf bestanden, daß der Volkskrieg nur dann anwendbar ist, wenn haargenau die gleichen Bedingungen bestehen wie in China, eine Situation, die schwerlich eintreten wird. Das heißt, daß der Volkskrieg als Militärtheorie des Proletariats nicht verstanden und folglich geleugnet wird.

Doch die Kritik greift auch aus einem anderen Grund nicht. Der Text des Vorsitzenden Mao ist zu einer Zeit entstanden, als sich die chinesische Revolution in Schwierigkeiten befand, und bezieht sich auf den langfristigen Bestand eines relativ kleinen, isolierten roten Gebietes, das vom Feind umringt ist. In Peru hat es diese Art von isolierten roten Gebieten nie gegeben. Vielmehr basierte der Aufbau der revolutionären Stützpunkte auf einem strategischen Plan, dessen Ausarbeitung auf einer umfassenden Untersuchung der historischen und sozialen Bedingungen des Landes beruhte, wobei unter anderem die Kampftradition und die Klassenstruktur der verschiedenen Regionen berücksichtigt wurden. Daneben leistete die rote Fraktion, die vom Vorsitzenden Gonzalo angeführt wurde, bereits seit den sechziger Jahren, besonders jedoch in den siebziger Jahren, eine intensive Organisationsarbeit im Hinblick auf den Beginn des bewaffneten Kampfes. Im Juni 1977 wurde der "Plan Nacional de Construcción" (Nationaler Aufbauplan) verabschiedet, der die Umorganisation der Partei gemäß der strategischen Notwendigkeiten des Volkskrieges und die spätere Errichtung von revolutionären Stützpunkten einleitete. Im "Esquema de la lucha armada" (Schema für den bewaffneten Kampf) vom Juli 1978 wurde der Volkskrieg in Peru als langwieriger Volkskrieg vom Land in die Stadt definiert, wobei die Bedeutung des Andengebiets berücksichtigt wurde und innerhalb dieses Gürtels, der das Land von Norden nach Süden durchzieht, der Bereich vom Zentrum bis zum Süden, die traditionell ärmste Region des Landes, die seit Jahrhunderten von Bauernkämpfen erschüttert wird, als Hauptschauplatz des Krieges festgelegt. Daneben trug die PCP der Bedeutung der Städte und vor allem der Hauptstadt, wo sich der größte Teil der Arbeiterklasse konzentriert, Rechnung, indem sie eine gleichzeitige Aktion sowohl auf dem Lande als auch in der Stadt mit dem Land als Hauptschauplatz des Krieges beschloß. Nach 1980 folgte die Entwicklung des Volkskrieges diesem Plan, und obwohl die Aktionen in den Städten und speziell in der Hauptstadt naturgemäß größeres Aufsehen erregten, fand die Hauptaktion auf dem Lande statt. Nach einer ersten Phase der bewaffneten Propaganda und der Beschaffung von Waffen ging der bewaffnete Kampf nach wenigen Monaten zum Guerrillakrieg über, indem er in den Andengebieten Guerrillazonen eröffnete und mit einer massiven Mobilisierung der Bauernmassen den Kampf gegen die Großgrundbesitzer alten und neuen Typs und gegen die Polizei aufnahm, die die Regierung zunächst gegen die Guerrilla einsetzte. Ende 1982 hatten sich die Großgrundbesitzer, die lokalen Autoritäten und die Polizei in die Provinzhauptstädte zurückgezogen. In den betreffenden Gebieten war ein Machtvakuum entstanden, und die PCP stand vor der Frage, ob sie revolutionäre Stützpunkte errichten solle. Der Vorsitzende Mao nennt drei Voraussetzungen für die Bildung von revolutionären Stützpunkten: Es muß eine revolutionäre Armee geben, sie muß den Feind in den betreffenden Gebieten besiegt haben und die Mehrheit der Massen müssen den Volkskrieg unterstützen. Diese Voraussetzungen waren in Peru im wesentlichen erfüllt, denn es gab eine Armee, Zehntausende Bauern waren bei Aktionen gegen die Großgrundbesitzer mobilisiert worden und der Feind hatte sich zurückgezogen. Eine Schwierigkeit war allerdings, daß die reaktionäre Regierung Belaúndes versuchte, den bewaffneten Kampf herunterzuspielen und darum zögerte, die Armee gegen den Volkskrieg einzusetzen, es jedoch abzusehen war, daß sie diesen Schritt früher oder später tun mußte. Die spezifische Lösung, die der Vorsitzende Gonzalo fand, waren die geheimen Volkskomitees, die in verschiedenen Modalitäten selbst dann funktionierten, als Anfang 1983 die Armee gegen den Volkskrieg eingesetzt wurde und daran ging, durch die Errichtung von Militärstützpunkten die Macht des reaktionären Staates teilweise wieder herzustellen. Die Volkskomitees organisierten das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben ihrer Mitglieder und übten faktisch die neue Macht aus. In dem Maße, wie in den folgenden Jahren die reaktionäre Armee aus den ländlichen Gebieten in die Städte zurückgedrängt wurde und die Revolution stark genug war, diese Gebiete zu verteidigen, öffneten sich die Volkskomitees und weiteten ihre Funktionen aus. Die spezifische Form der revolutionären Stützpunkte in Peru bestand aus dem Zusammenschluß der offenen Volkskomitees einer Region. Auf der Grundlage des strategischen Plans wurde auf diese Art in Peru ein System aus mehr oder weniger entwickelten revolutionären Stützpunkten aufgebaut, die nach politischen und militärischen Gesichtspunkten ausgewählt worden waren und wie eine Pufferzone von Guerrillagebieten umgeben waren, d. h. Zonen, in denen die revolutionäre Armee und die reaktionären Streitkräfte um die Kontrolle kämpften.

Daraus wird ersichtlich, daß der Vorsitzende Gonzalo nicht nur eine konkrete Analyse der konkreten Situation durchführte, sondern auch spezifische Lösungen für die besondere Situation fand, deren Bedeutung häufig über die spezielle Anwendung in der peruanischen Revolution hinausreicht, wie im Fall der Volkskomitees, die nicht nur Keimzellen des neuen Staates sind, die sein Überleben unter den unterschiedlichsten Umständen sichern, sondern auch die Vorstufe der Volkskommunen, wie sie in China erst lange nach der Machtübernahme entstanden.

In Anbetracht dieser Entwicklung ist es absurd, wenn die MLPD der PCP 1988 unterstellt, sie sei in der Praxis längst gescheitert und habe es nie geschafft, eine feste Verankerung in den Massen zu finden. Dem steht nicht nur die ständige quantitative und qualitative Zunahme der bewaffneten Aktionen entgegen, die 1992 ihren Höhepunkt erreichten, sondern auch, daß sich der reaktionäre Staat jahrelang gezwungen sah, in fast allen Provinzen des Landes den Ausnahmezustand zu verhängen und Hunderte von nordamerikanischen Militärberatern ins Land zu holen. Die MLPD betrachtet den zunehmenden Staatsterror hingegen nicht als Ausdruck des sich verschärfenden Widerspruchs, sondern vollkommen undialektisch als Hinweis darauf, daß der Volkskrieg sich auf dem Rückzug befand und seine ursprüngliche Basis im Andengebiet von Ayacucho verloren habe.

Daneben unterstellt sie der PCP, sie sehe ihre hauptsächliche Aufgabe darin, die Massen - natürlich gegen ihren Willen - durch "bewaffnete Propaganda" immer mehr in den Volkskrieg hineinzuziehen. Diese vermeintliche Konzentration auf eine einzige Kampfform wird unter Berufung auf Lenin abgelehnt, der über die bewaffnete Aktion sagte, sie müsse sich auf den revolutionären Aufschwung der Massen stützen, wobei Lenin hier allerdings von dem Volksaufstand zur Machtübernahme im Moment der revolutionären Krise spricht. In Wirklichkeit wendete die PCP vier militärische Kampfformen an: Guerrillaaktionen, Sabotageakte, bewaffnete Agitation und Propaganda und die selektive Hinrichtung von Reaktionären. Die Lektüre der peruanischen Zeitungen jener Zeit reicht aus, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß die Guerrillaaktionen die bei weitem häufigste Kampfform der revolutionären Armee war. Die bewaffnete Agitation und Propaganda, die hier mit der Zwangsrekrutierung der Massen gleichgesetzt wird, war nichts weiter als eine Begleiterscheinung der Kriegssituation, in der es unmöglich war, sich auf die Straße zu stellen und Flugblätter zu verteilen, da dies sofort Verhaftung, Folter, jahrelange Gefangenschaft oder sogar den Tod nach sich gezogen hätte. Die Mobilisierung, Politisierung und Organisation der Massen dagegen muß in einer derartigen Situation verdeckt stattfinden und besteht aus langwieriger Überzeugungsarbeit, die im Stadium der bewaffneten Revolution um so wichtiger ist, denn niemand läßt sich dazu bewegen, sein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn er nicht vollkommen an die Sache glaubt. Wie konnte sich der Volkskrieg sonst so lange halten und sich erfolgreich entwickeln, wenn er es nicht geschafft hat, eine Verankerung in den Massen zu finden, wie die MLPD behauptet? Wer hat dann Tausende von Militäraktionen durchgeführt, wenn nicht die Massen?

Ein weiteres Argument der MLPD gegen den Volkskrieg ist ein Vorwurf, den die Reaktion und der Revisionismus ständig erhoben, um den Volkskrieg in Mißkredit zu bringen, nämlich daß die PCP Strafaktionen gegen Arbeiter und Bauern durchführe, die sich ihren Weisungen nicht fügen wollten und daß immer wieder Autoritäten kleiner Dörfer öffentlich hingerichtet wurden, darunter Angehörige linker Parteien. Dahinter kommt zum einen Unverständnis des halbfeudalen Charakters der peruanischen Gesellschaft zum Ausdruck, der die Verhältnisse auf dem Lande prägt. Die Bauern, insbesondere die armen Bauern, sind nach wie vor feudalen Ausbeutungsverhältnissen ausgeliefert, die sie zu einem Leben in Armut, Unwissenheit und Abhängigkeit verdammen. In der politischen Linie der PCP ("Über die demokratische Revolution") heißt es dazu:

"Wie bereits Mariátegui feststellte, ist die Feudalherrschaft nicht nur eine soziale und wirtschaftliche Kategorie. Es handelt sich vielmehr um ein Phänomen, das nicht nur die Großgrundbesitzer an sich umfaßt, sondern außerdem eine umfangreiche Hierarchie von Funktionären, Mittlern, Agenten, Parasiten usw. Es ist der zentrale Faktor der Vorherrschaft des halbfeudalen Großgrundbesitzes in der Politik und im Mechanismus des Staates, den man von seinen Wurzeln her bekämpfen muß. Und der Vorsitzende Gonzalo hebt ausdrücklich hervor, wie sich die Halbfeudalität in der Politik und im Mechanismus des Staates manifestieren, indem er die Feudalherrschaft als den politischen Ausdruck der Halbfeudalität begreift, auf dem dieses Regime der Leibeigenschaft ruht, das in den abgelegensten Winkeln des Landes von lokalen Despoten und Lakaien, die den alten Staat repräsentieren, getragen wird, wenngleich sich entsprechend der jeweiligen Regierung die Erscheinungsform ändert."

Dieses feudale Herrschaftssystem und seine Repräsentanten sind das Hauptangriffsziel des Agrarkrieges, auch wenn sie Vertreter der sogenannten linken Parteien sind, zumal diese ohnehin von Anfang an erbitterte Gegner des Volkskrieges und der PCP waren, und es auf dem Lande mehr als einmal vorgekommen ist, daß sie Mitglieder der revolutionären Armee an die Reaktion verraten haben.

Daneben kommt in dieser Kritik der MLPD aber auch eine kleinbürgerliche moralische Empörung zum Ausdruck, die sie hinter dem Vorwurf des Putschismus versteckt und sich dabei auf den Vorsitzenden Mao beruft. Dessen Hauptmerkmal sind "Operationen, die blindlings, ohne Berücksichtigung der subjektiven und objektiven Bedingungen durchgeführt werden", außerdem die unentschlossene und unzulängliche Durchführung der Parteipolitik, mangelnde Disziplin, unangemessene Gewaltanwendung und Vandalismus. ("Über die Berichtigung falscher Ansichten in der Partei", B. I, S. 130). Die MLPD meint damit aber vor allem den letzten Punkt, und schließt damit die Reihen mit der peruanischen Reaktion und dem Imperialismus.

Niemand kann bestreiten, daß es in jeder Revolution zu Fehlern und Abweichungen von der Parteipolitik kommt. Warum sonst hätte z. B. der Vorsitzende Mao es für nötig befunden, die falschen Ansichten in der Partei zu bekämpfen. Doch das bedeutet nicht, daß die Parteipolitik falsch ist. Auf der anderen Seite vertritt der Vorsitzende Mao auch, daß ein gewisses Maß an Exzessen notwendig ist:

"Geradeheraus gesagt, in jedem Dorf ist eine kurze Periode des Terrors notwendig, andernfalls ist es völlig unmöglich, die Tätigkeiten der Konterrevolutionäre auf dem Lande zu unterdrücken und die Macht der Schenschi zu brechen. Um einen Fehler zu korrigieren, muß man das Maß überschreiten, andernfalls kann der Fehler nicht korrigiert werden." Denn: "Erstens haben die Tuhao und Liäschen sowie die gewalttätigen Grundherren selbst die Bauern zu diesen Dingen getrieben. Seit jeher haben sie ihre Macht mißbraucht, um die Bauern zu tyrannisieren und auf ihnen herumzutrampeln, und eben darum kam es zu derart heftigen Widerstandsaktionen der Bauern. ... Zweitens ist eine Revolution kein Gastmahl, kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen oder Deckchensticken; sie kann nicht so fein, so gemächlich und zartfühlend, so maßvoll, gesittet, höflich, zurückhaltend und großherzig durchgeführt werden. Die Revolution ist ein Aufstand, ein Gewaltakt, durch den eine Klasse eine andere Klasse stürzt." ("Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in Hunan", Bd. 1, S. 27/28).

Der Hintergrund der Kritik der MLPD wird deutlich, wenn sie abschließend verkündet, daß der Wahlboykott, zu dem die PCP aufgerufen hat, ein Fehler ist, zum einen, weil die Wahlbeteiligung der Massen zeige, daß sie den Glauben an die Wahlen noch nicht verloren haben. Dazu wäre festzustellen, daß für viele Landbewohner, insbesondere arme Bauern, die Wahlen von jeher keinerlei Bedeutung hatten, da sie ihre Lebenssituation in keiner Weise berührte und sie über die politischen Ereignisse in der fernen Hauptstadt kaum Informationen hatten. Tatsache ist außerdem, daß die Wahlbeteiligung in Peru seit 1980 permanent abnahm, obwohl eine Wahlpflicht besteht und die Nichtwähler sich Repressalien ausgesetzt sehen. Das läßt auf ein schwindendes Vertrauen des Volkes in den reaktionären Staat schließen, was die natürliche Folge einer Gesellschaft ist, in der Vetternwirtschaft und Korruption zum alltäglichen Leben gehören und von den Herrschenden ungeniert vorgeführt wird.

Zum anderen beruft sich die MLPD auf Lenin, der in "Der ‚linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" darauf hinweist, daß die Beteiligung an Parlamentswahlen und die Nutzung des Parlaments als Tribüne unbedingte Pflicht der Partei ist, um die rückständigen Massen aufzuklären, solange man die Macht nicht erobern kann. Dahinter steht die Auffassung, daß der Weg der Revolution in Peru wie in Rußland über eine langwierige Organisationsarbeit unter den Massen führt, deren Kämpfe schließlich in eine revolutionäre Krise und einen Volksaufstand einmünden, mit dem die Macht übernommen wird.

Diese Argumentation steht und fällt mit der Einschätzung des Charakters der peruanischen Gesellschaft, aus der sich der Charakter der Revolution ergibt. Denn die Erfahrungen der chinesischen Revolution haben gezeigt, daß dieser Weg, der in einem imperialistischen Land als allgemeines Gesetz Gültigkeit hat, in einem halbfeudalen und halbkolonialen Land in die Niederlage führt und statt dessen eine demokratische Revolution neuen Typs angebracht ist, wie sie der Vorsitzende Mao in China anführte. Ausgehend von der Analyse der Gesellschaft, kam er zu dem Schluß, daß in einer unterdrückten Nation wie China die proletarische Revolution zunächst die demokratische Revolution vollenden muß, indem sich die Arbeiterklasse mit den anderen unterdrückten Klassen, insbesondere aber mit den Bauern, die die Hauptkraft sind, verbündet und ihre Kämpfe anführt, um in einem langwierigen Volkskrieg vom Land in die Stadt die Macht zu erobern und dann sofort zur sozialistischen Revolution überzugehen.

Die MLPD leugnet den halbfeudalen und halbkolonialen Charakter der peruanischen Gesellschaft und argumentiert, daß Peru ein kapitalistisches Land sei, weil die Arbeiterklasse stärker entwickelt sei als in China. Die sonstigen Widersprüche und Ausbeutungsverhältnisse im Land läßt sie dabei vollkommen unbeachtet. Daher hält sie den Volkskrieg für kleinbürgerlichen Revolutionarismus und linkes Abenteurertum in Form von unorganisierten Partisanenaktionen, welche die Partei desorganisieren und folglich die Revolution behindern. (Dabei fragt sich, von welcher Partei die Rede ist, d. h. welche der sogenannten linken Parteien wirklich ernsthaft auf die Revolution hinarbeitet. Sie alle haben nicht zuletzt durch den Volkskrieg ihre Glaubwürdigkeit verloren, während die PCP durch die bewaffneten Aktionen ganz und gar nicht desorganisiert wurde, sondern enorm gewachsen ist.)

Der Vorsitzende Gonzalo hingegen kam nach einer gründlichen Untersuchung des Charakters der peruanischen Gesellschaft, die u. a. in der politischen Generallinie der PCP detailliert dargestellt ist, zu dem Schluß, daß Peru eine halbfeudale und halbkoloniale Gesellschaft, in der sich ein bürokratischer Kapitalismus entwickelt. Das ist historisch darauf zurückzuführen, daß die Bourgeoisie zu schwach war, eine bürgerlich - demokratische Revolution durchzuführen, was zum einen bewirkte, daß auf dem Lande bis heute die feudalen Ausbeutungsverhältnisse fortbestehen, die durch die diversen Landreformen lediglich modifiziert, jedoch nicht abgeschafft worden sind. Zum andern konnte sich keine unabhängige, kapitalistische Wirtschaft entwickeln. Obwohl das Land seit Beginn des 19. Jahrhunderts formal unabhängig ist, geriet es von der Abhängigkeit von Spanien in die von England und seit Beginn des 20. Jahrhunderts unter die Herrschaft des US-Imperialismus. Der Kapitalismus, der sich unter diesen Bedingungen herausbildete, ist ein anfälliger, kranker Kapitalismus, dessen Entwicklung durch die halbfeudale Basis auf dem Lande und die Abhängigkeit vom Imperialismus behindert wird, ein sogenannter bürokratischer Kapitalismus, den der Vorsitzende Mao definierte. Die Klassen, die davon profitieren, sind die Großbourgeoisie und die Großgrundbesitzer, die alle anderen Klassen ausbeuten, bzw. in ihrer Entwicklung beschränken: die Arbeiterklasse, die zahlenmäßig klein ist, da die Industrie nur in geringem Maße entwickelt ist, die Bauern, die in den achtziger Jahren rund 60% der Bevölkerung ausmachten, und die zweitgrößte Klasse, das städtische Kleinbürgertum, sowie ein relativ kleiner bürgerlicher Mittelstand. All das sind typische Merkmale einer halbfeudalen und halbkolonialen Gesellschaft. Folglich ist der einzige Weg, den die Revolution nehmen kann, der des langwierigen Volkskriegs vom Land in die Stadt, der in seiner ersten Etappe hauptsächlich ein Agrarkrieg ist, in dem die halbfeudalen Verhältnisse auf dem Lande bekämpft werden, während gleichzeitig mit den revolutionären Stützpunkten die Anfänge eines neuen Staates entstehen, in dem die unterdrückten Klassen als Volksdemokratie die Macht ausüben. In einer zweiten Etappe geht der Krieg dann in einen nationalen Befreiungskrieg über, wobei sich allmählich das Hauptgewicht auf die Städte verlagert, um die Kämpfe der Massen dort bis hin zur revolutionären Krise zu entwickeln und die Macht zu übernehmen.

Der Volkskrieg in Peru setzte 1992 zum Übergang des Agrarkrieges zum nationalen Befreiungskrieg an, was eine Reihe von sehr komplexen Problemen mit sich brachte, als der Vorsitzende Gonzalo und die zentrale Führung der Partei verhaftet wurden. Es erwies sich schnell, daß die verbleibende Führung nicht dazu in der Lage war, diese Probleme zu lösen, woraufhin der Vorsitzende Gonzalo einen organisierten Rückzug einleitete, indem er ein Friedensabkommen mit der Regierung vorschlug. Dabei ging es vor allem darum, den größtmöglichen Teil des Erreichten zu erhalten. Doch die Führung in Freiheit widersetzte sich, und es trat das ein, was nach Ansicht der MLPD bereits 1980 geschah: Die revolutionäre Situation entwickelte sich nicht weiter, der Volkskrieg stagnierte, bröckelte ab und erlitt eine Niederlage. Die Ursache ist die Usurpation der Parteiführung durch eine Gruppe von Renegaten, die eine revisionistische Linie anwandten. Diese Entwicklung bestätigt einmal mehr den Vorsitzenden Mao, der sagte, daß die richtige ideologisch - politische Linie allesentscheidend ist.

Wer behauptet, der Volkskrieg hätte gar nicht erst begonnen werden sollen, weil von vornherein keine Bedingungen bestanden, ihn weiter zu entwickeln und siegreich zu Ende zu bringen, der verschließt die Augen vor den Errungenschaften, die er hervorgebracht hat:

  • Der Volkskrieg ist die größte soziale und revolutionäre Bewegung in der Geschichte Perus, sowohl, was sein Programm als auch seine Entwicklung und seine Dauer betrifft.
  • Er hat dazu gedient, den Maoismus als neue, dritte und höhere Etappe des Marxismus zu verteidigen, und diese ist von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der Strategie auf internationaler Ebene.
  • Er hat das Ansehen und den Einfluß der PCP auf das höchste Niveau ihrer Geschichte erhoben.
  • Die peruanische Revolution hat die umfassendste revolutionäre Erfahrung in Peru und in Lateinamerika gesammelt und eine der größten in der heutigen Welt.
  • Der Volkskrieg ist ein großer Beitrag zur proletarischen Weltrevolution. Außerdem ist er das Bindeglied zwischen der ersten große Periode der Weltrevolution und der neuen großen Welle, die am Entstehen ist.
  • Er ist ein Beispiel, wie man nur auf seine eigenen Kräfte gestützt den bewaffneten Kampf entwickeln kann, und hat gezeigt, daß der Volkskrieg unbesiegbar ist.


  • All das wird von den Kritikern des Volkskrieges wie der MLPD bestritten. Besonders schwerwiegend ist dabei, daß die Allgemeingültigkeit des Maoismus negiert wird, die durch die erfolgreiche Entwicklung der peruanischen Revolution in Theorie und Praxis bewiesen worden ist. Denn der Maoismus ist der Marxismus unserer Zeit, und je eher die kommunistischen Parteien ihn aufgreifen und auf ihre konkrete Situation anwenden, desto schneller und machtvoller wird sich die zukünftige große Welle der proletarischen Weltrevolution entwickeln.