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V. Staat, Familie, Erziehung

|292| Mit den beiden vorigen Abschnitten hätten wir nun den ökonomischen Inhalt der »neuen sozialitären Gebilde« des Herrn Dühring so ziemlich erschöpft. Höchstens wäre noch zu bemerken, daß »die universelle Weite des geschichtlichen Umblicks« ihn keineswegs verhindert, seine Spezialinteressen wahrzunehmen, auch abgesehn von der bekannten mäßigen Mehrkonsumtion. Da die alte Teilung der Arbeit in der Sozialität fortbesteht, wird die Wirtschaftskommune außer mit Architekten und Karrenschiebern auch mit Literaten von Profession zu rechnen haben, wobei dann die Frage entsteht, wie es alsdann mit dem Autorrecht gehalten werden soll. Diese Frage beschäftigt Herrn Dühring mehr als jede andre. Überall, z.B. bei Gelegenheit von Louis Blanc und Proudhon, gerät das Autorrecht dem Leser zwischen die Beine, um endlich auf neun Seiten des »Cursus« des breitern breitgetreten und in der Form einer mysteriösen »Arbeitsbelohnung« - ob mit oder ohne mäßige Mehrkonsumtion wird nicht gesagt - glücklich in den Hafen der Sozialität hinübergerettet zu werden. Ein Kapitel über die Stellung der Flöhe im natürlichen System der Gesellschaft wäre ebenso angebracht gewesen und jedenfalls weniger langweilig.

Über die Staatsordnung der Zukunft gibt die »Philosophie« ausführliche Vorschriften. Hier hat Rousseau, obwohl »der einzige bedeutende Vorgänger» des Herrn Dühring, dennoch den Grund nicht tief genug gelegt; sein tieferer Nachfolger hilft dem gründlich ab, indem er den Rousseau aufs alleräußerste verwässert und mit ebenfalls zu breiter Bettelsuppe verkochten Abfällen der Hegelschen Rechtsphilosophie versetzt. »Die Souveränetät des Individuums« bildet die Grundlage des Dühringschen Zukunftsstaats; sie soll in der Herrschaft der Majorität nicht unterdrückt werden, sondern erst recht kulminieren. Wie geht das zu? Sehr einfach.

»Wenn man in allen Richtungen Übereinkünfte eines jeden mit jedem andern voraussetzt, und wenn diese Verträge die gegenseitige Hülfeleistung gegen ungerechte Verletzungen zum Gegenstand haben - alsdann wird nur die Macht zur Aufrechterhaltung des Rechts verstärkt und aus keiner bloßen Übergewalt der Menge über den einzelnen oder der Mehrheit über die Minderheit ein Recht abgeleitet.«

Mit solcher Leichtigkeit setzt die lebendige Kraft des wirklichkeitsphilosophischen Hokuspokus über die unpassierbarsten Hindernisse hinweg und wenn der Leser meint, er sei hiernach nicht klüger als zuvor, so antwortet ihm Herr Dühring, er möge die Sache nur ja nicht so leicht nehmen, denn

|293| »der geringste Fehlgriff in der Auffassung der Rolle des Gesamtwillens würde die Souveränetät des Individuums vernichten, und diese Souveränetät ist es allein, was (!) zur Ableitung wirklicher Rechte führt«.

Herr Dühring behandelt sein Publikum ganz wie es verdient, wenn er es zum besten hält. Er konnte sogar noch bedeutend dicker auftragen; die Studiosen der Wirklichkeitsphilosophie hätten es doch nicht gemerkt.

Die Souveränität des Individuums besteht nun wesentlich darin, daß »der einzelne dem Staat gegenüber in absoluter Weise gezwungen wird«, dieser Zwang aber sich nur insoweit rechtfertigen kann, als er »wirklich der natürlichen Gerechtigkeit dient«. Zu diesem Zweck wird es »Gesetzgebung und Richtertum« geben, aber sie »müssen bei der Gesamtheit bleiben«; ferner einen Wehrbund, der sich im »Zusammenstehn im Heere oder in einer zum innern Sicherheitsdienste gehörigen Exekutivabteilung« äußert, also auch Armee, Polizei, Gensdarmen. Herr Dühring hat sich zwar schon so oft als braver Preuße bewährt; hier beweist er seine Ebenbürtigkeit mit jenem Musterpreußen, der nach dem weiland Minister von Rochow »seinen Gensdarmen in der Brust trägt«. Diese Zukunftsgensdarmrie wird aber nicht so gefährlich sein, wie die heutigen »Zarucker«. Was sie auch an dem souveränen Individuum verüben möge, dieses hat immer einen Trost:

»das Recht oder Unrecht, welches ihm alsdann, je nach den Umständen, von seiten der freien Gesellschaft widerfährt, kann nie etwas Schlimmeres sein, als was auch der Naturzustand mit sich bringen würde«!

Und dann, nachdem Herr Dühring uns noch einmal über sein unvermeidliches Autorrecht hat stolpern lassen, versichert er uns, es werde in seiner Zukunftswelt eine

»selbstverständlich völlig freie und allgemeine Advokatur« geben. »Die heute erdachte freie Gesellschaft« wird immer gemischter. Architekten, Karrenschieber, Literaten, Gensdarmen, und nun auch noch Advokaten! Dies »solide und kritische Gedankenreich« gleicht aufs Haar den verschiednen Himmelreichen der verschiednen Religionen, in denen der Gläubige immer das verklärt wiederfindet, was ihm sein irdisches Leben versüßt hat. Und Herr Dühring gehört ja dem Staate an, wo »jeder nach seiner Fasson selig werden kann«. Was wollen wir mehr?

Was wir wollen mögen, ist indes hier gleichgültig. Es kommt darauf an, was Herr Dühring will. Und dieser unterscheidet sich von Friedrich II. dadurch, daß im Dühringschen Zukunftsstaat keineswegs jeder nach seiner Fasson selig werden kann. In der Verfassung dieses Zukunftsstaats heißt es:

|294| »In der freien Gesellschaft kann es keinen Kultus geben; denn von jedem ihrer Glieder ist die kindische Ureinbildung überwunden, daß es hinter oder über der Natur Wesen gebe, auf die sich durch Opfer oder Gebete wirken lasse.« Ein »richtig verstandnes Sozialitätssystem hat daher ... alle Zurüstungen zur geistlichen Zauberei und mithin alle wesentlichen Bestandteile der Kulte abzutun«.

Die Religion wird verboten.

Nun ist alle Religion nichts andres als die phantastische Widerspiegelung, in den Köpfen der Menschen, derjenigen äußern Mächte, die ihr alltägliches Dasein beherrschen, eine Widerspiegelung, in der die irdischen Mächte die Form von überirdischen annehmen. In den Anfängen der Geschichte sind es zuerst die Mächte der Natur, die diese Rückspiegelung erfahren und in der weitern Entwicklung bei den verschiednen Völkern die mannigfachsten und buntesten Personifikationen durchmachen. Dieser erste Prozeß ist wenigstens für die indoeuropäischen Völker durch die vergleichende Mythologie bis auf seinen Ursprung in den indischen Vedas zurückverfolgt und in seinem Fortgang bei Indern, Persern, Griechen, Römern, Germanen und, soweit das Material reicht, auch bei Kelten, Litauern und Slawen im einzelnen nachgewiesen worden. Aber bald treten neben den Naturmächten auch gesellschaftliche Mächte in Wirksamkeit, Mächte, die den Menschen ebenso fremd und im Anfang ebenso unerklärlich gegenüber stehn, sie mit derselben scheinbaren Naturnotwendigkeit beherrschen wie die Naturmächte selbst. Die Phantasiegestalten, in denen sich anfangs nur die geheimnisvollen Kräfte der Natur widerspiegelten, erhalten damit gesellschaftliche Attribute, werden Repräsentanten geschichtlicher Mächte.(9) Auf einer noch weitern Entwicklungsstufe werden sämtliche natürlichen und gesellschaftlichen Attribute der vielen Götter auf Einen allmächtigen Gott übertragen, der selbst wieder nur der Reflex des abstrakten Menschen ist. So entstand der Monotheismus, der geschichtlich das letzte Produkt der spätern griechischen Vulgärphilosophie war und im jüdischen ausschließlichen Nationalgott Jahve seine Verkörperung vorfand. In dieser bequemen, handlichen und allem anpaßbaren Gestalt kann die Religion fortbestehn als unmittelbare, das heißt gefühlsmäßige Form des Verhaltens der Menschen |295| zu den sie beherrschenden fremden, natürlichen und gesellschaftlichen Mächten, solange die Menschen unter der Herrschaft solcher Mächte stehn Wir haben aber mehrfach gesehn, daß in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft die Menschen von den von ihnen selbst geschaffnen ökonomischen Verhältnissen, von den von ihnen selbst produzierten Produktionsmitteln wie von einer fremden Macht beherrscht werden. Die tatsächliche Grundlage der religiösen Reflexaktion dauert also fort und mit ihr der religiöse Reflex selbst. Und wenn auch die bürgerliche Ökonomie eine gewisse Einsicht in den ursächlichen Zusammenhang dieser Fremdherrschaft eröffnet, so ändert dies der Sache nach nichts. Die bürgerliche Ökonomie kann weder die Krisen im ganzen verhindern noch den einzelnen Kapitalisten vor Verlusten, schlechten Schulden und Bankrott oder den einzelnen Arbeiter vor Arbeitslosigkeit und Elend schützen. Es heißt noch immer: der Mensch denkt und Gott (das heißt die Fremdherrschaft der kapitalistischen Produktionsweise) lenkt. Die bloße Erkenntnis, und ginge sie weiter und tiefer als die der bürgerlichen Ökonomie, genügt nicht, um gesellschaftliche Mächte der Herrschaft der Gesellschaft zu unterwerfen. Dazu gehört vor allem eine gesellschaftliche Tat. Und wenn diese Tat vollzogen, wenn die Gesellschaft durch Besitzergreifung und planvolle Handhabung der gesamten Produktionsmittel sich selbst und alle ihre Mitglieder aus der Knechtung befreit hat, in der sie gegenwärtig gehalten werden durch diese von ihnen selbst produzierten, aber ihnen als übergewaltige fremde Macht gegenüberstehenden Produktionsmittel, wenn der Mensch also nicht mehr bloß denkt, sondern auch lenkt, dann erst verschwindet die letzte fremde Macht, die sich jetzt noch in der Religion widerspiegelt, und damit verschwindet auch die religiöse Widerspiegelung selbst, aus dem einfachen Grunde, weil es dann nichts mehr widerzuspiegeln gibt.

Herr Dühring dagegen kann es nicht abwarten, bis die Religion dieses ihres natürlichen Todes verstirbt. Er verfährt wurzelhafter. Er überbismarckt den Bismarck; er dekretiert verschärfte Maigesetze, nicht bloß gegen den Katholizismus, sondern gegen alle Religion überhaupt; er hetzt seine Zukunftsgensdarmen auf die Religion und verhilft ihr damit zum Märtyrertum und zu einer verlängerten Lebensfrist. Wohin wir blicken, spezifisch preußischer Sozialismus.

Nachdem Herr Dühring so die Religion glücklich vernichtet,

»kann nun der allein auf sich und die Natur gestellte und zur Erkenntnis seiner Kollektivkräfte gereifte Mensch kühn alle Wege einschlagen, die ihm der Lauf der Dinge und sein eignes Wesen eröffnen«.

|296| Betrachten wir nun zur Abwechslung, welchen »Lauf der Dinge« der auf sich selbst gestellte Mensch an der Hand des Herrn Dühring kühn einschlagen kann.

Der erste Lauf der Dinge, wodurch der Mensch auf sich selbst gestellt wird, ist der, geboren zu werden. Dann bleibt er

für die Zeit der natürlichen Unmündigkeit der »natürlichen Erzieherin der Kinder«, der Mutter anvertraut. »Diese Periode mag, wie im alten römischen Recht, bis zur Pubertät, also etwa bis zum vierzehnten Jahr reichen.« Nur wo ungezogene ältere Knaben das Ansehn der Mutter nicht gehörig respektieren, wird der väterliche Beistand, namentlich aber die öffentlichen Erziehungsvorkehrungen diesen Mangel unschädlich machen. Mit der Pubertät tritt das Kind unter »die natürliche Vormundschaft des Vaters«, wenn nämlich ein solcher mit »unbestrittner wirklicher Vaterschaft« vorhanden ist; andernfalls stellt die Gemeinde einen Vormund.

Wie Herr Dühring sich früher vorstellte, man könne die kapitalistische Produktionsweise durch die gesellschaftliche ersetzen, ohne die Produktion selbst umzugestalten, so bildet er sich hier ein, man könne die modern-bürgerliche Familie von ihrer ganzen ökonomischen Grundlage losreißen, ohne dadurch ihre ganze Form zu verändern. Diese Form ist für ihn so unwandelbar, daß er sogar das »alte römische Recht«, wenn auch in etwas »veredelter« Gestalt, für die Familie in alle Ewigkeit maßgebend macht und sich eine Familie nur als »vererbende«, das heißt als besitzende Einheit vorstellen kann. Die Utopisten stehn hier weit über Herrn Dühring. Ihnen war mit der freien Vergesellschaftung der Menschen und der Verwandlung der häuslichen Privatarbeit in eine öffentliche Industrie auch die Vergesellschaftung der Jugenderziehung und damit ein wirklich freies gegenseitiges Verhältnis der Familienglieder unmittelbar gegeben. Und ferner hat bereits Marx (Kapital, Seite 515 u.f. |Siehe Karl Marx: »Das Kapital« Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 514|) nachgewiesen, wie »die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage schafft für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter«.

»Jeder sozialreformatorische Phantast«, sagt Herr Dühring, »hat natürlich die seinem neuen sozialen Leben entsprechende Pädagogik in Bereitschaft.« An diesem Satze gemessen, erscheint Herr Dühring als »ein wahres Monstrum« unter den sozialreformatorischen Phantasten. Die Zukunftsschule |297| beschäftigt ihn mindestens ebensoviel wie das Autorrecht, und das will wahrhaftig viel sagen. Nicht nur für die ganze »absehbare Zukunft« hat er Schulplan und Universitätsplan fix und fertig, sondern auch für die Übergangsperiode. Beschränken wir uns indes darauf, was der Jugend beiderlei Geschlechts in der endgültigen Sozialität letzter Instanz beigebracht werden soll.

Die allgemeine Volksschule bietet

»alles, was an sich selbst und prinzipiell für den Menschen einen Reiz haben kann«, also namentlich die »Grundlagen und Hauptergebnisse aller die Welt- und Lebensansichten berührenden Wissenschaften«. Sie lehrt also vor allem Mathematik und zwar so, daß der Kreis aller prinzipiellen Begriffe und Mittel vom einfachen Zählen und Addieren bis zur Integralrechnung »vollständig durchmessen« wird.

Das heißt aber nicht, daß in dieser Schule wirklich differenziert und integriert werden soll, im Gegenteil. Es sollen vielmehr dort ganz neue Elemente der Gesamtmathematik gelehrt werden, die sowohl die gewöhnliche elementare, wie auch die höhere Mathematik im Keime in sich enthalten. Obwohl nun Herr Dühring von sich behauptet, auch schon

»den Inhalt der Lehrbücher« dieser Zukunftsschule »in seinen Hauptzügen schematisch vor Augen«

zu haben, so hat es ihm doch leider bis jetzt nicht gelingen wollen, diese »Elemente der gesamten Mathematik«

zu entdecken; und was er nicht leisten kann, das

»ist auch wirklich erst von den freien und gesteigerten Kräften des neuen Gesellschaftszustandes zu erwarten«.

Wenn aber die Trauben der Zukunftsmathematik einstweilen noch sehr sauer sind, so wird die Astronomie, Mechanik und Physik der Zukunft desto weniger Schwierigkeiten machen und

»den Kern aller Schulung abgeben«, während »Pflanzen- und Tierkunde, mit ihrer, trotz aller Theorien, noch immer vornehmlich beschreibenden Art und Weise ... mehr zur leichtern Unterhaltung« dienen werden.

So steht's gedruckt, Philosophie«, Seite 417. Herr Dühring kennt bis auf den heutigen Tag keine andre als eine vornehmlich beschreibende Pflanzen- und Tierkunde. Die ganze organische Morphologie, die die vergleichende Anatomie, Embryologie und Paläontologie der organischen Welt umfaßt, ist ihm selbst dem Namen nach unbekannt. Während hinter seinem Rücken im Bereich der Biologie ganz neue Wissenschaften fast zu Dutzenden |298| entstehn, holt sein kindliches Gemüt sich noch immer die »eminent modernen Bildungselemente der naturwissenschaftlichen Denkweise« aus Raffs »Naturgeschichte für Kinder«, und oktroyiert diese Verfassung der organischen Welt ebenfalls der ganzen »absehbaren Zukunft«. Die Chemie ist, wie gewöhnlich bei ihm, auch hier total vergessen worden.

Für die ästhetische Seite des Unterrichts wird Herr Dühring alles neu zu beschaffen haben. Die bisherige Poesie taugt dazu nicht. Wo alle Religion verboten ist, kann die bei den frühern Poeten übliche »Zurichtung mythologischer oder sonst religiöser Art« selbstredend nicht in der Schule geduldet werden. Auch der »poetische Mystizismus, wie ihn z.B. Goethe stark gepflegt hat«, ist verwerflich. Herr Dühring wird sich also selbst entschließen müssen, uns jene dichterischen Meisterwerke zu liefern, die »den höhern Ansprüchen einer mit dem Verstande ausgeglichenen Phantasie entsprechen« und das echte Ideal darstellen, welches »die Vollendung der Welt bedeutet«. Möge er nicht damit zaudern. Welterobernd kann die Wirtschaftskommune erst wirken, sobald sie in dem mit dem Verstand ausgeglichnen Sturmschritt des Alexandriners einherwandelt.

Mit der Philologie wird der heranwachsende Zukunftsbürger nicht viel geplagt werden.

»Die toten Sprachen kommen ganz in Wegfall ... die fremden lebenden Sprachen aber werden ... etwas Nebensächliches bleiben.« Nur wo der Verkehr unter den Völkern sich auf die Bewegung der Volksmassen selbst erstreckt, sollen sie jedem in leichter Weise, je nach Bedürfnis, zugänglich gemacht werden. »Die wirklich bildende Sprachschulung« wird gefunden in einer Art allgemeiner Grammatik und namentlich in »Stoff und Form der eignen Sprache«.

Die nationale Borniertheit der heutigen Menschen ist noch viel zu kosmopolitisch für Herrn Dühring. Er will auch noch die beiden Hebel abschaffen, die in der heutigen Welt wenigstens die Gelegenheit zur Erhebung über den beschränkten nationalen Standpunkt bieten: die Kenntnis der alten Sprachen, die wenigstens den klassisch gebildeten Leuten aller Völker einen gemeinsamen erweiterten Horizont eröffnet, und die Kenntnis der neuern Sprachen, vermittelst deren die Leute der verschiednen Nationen allein untereinander sich verständigen und sich mit dem bekannt machen können, was außerhalb ihrer eignen Grenzen vorgeht. Dagegen soll die Grammatik der Landessprache gründlich eingepaukt werden. »Stoff und Form der eignen Sprache« sind aber nur dann verständlich, wenn man ihre Entstehung und allmähliche Entwicklung verfolgt, und dies ist nicht möglich ohne Berücksichtigung erstens ihrer eignen abgestorbnen Formen und zweitens der verwandten lebenden und toten Sprachen. Damit sind wir aber wieder auf |299| dem ausdrücklich verbotnen Gebiet. Wenn aber hiermit Herr Dühring die ganze moderne historische Grammatik aus seinem Schulplan ausstreicht, so bleibt ihm nichts für den Sprachunterricht als die altfränkische, ganz im Stil der alten klassischen Philologie zugestutzte, technische Grammatik mit allen ihren, auf dem Mangel an geschichtlicher Grundlage beruhenden Kasuistereien und Willkürlichkeiten. Der Haß gegen die alte Philologie bringt ihn dazu, das allerschlechteste Produkt der alten Philologie zum »Mittelpunkt der wirklich bildenden Sprachschulung« zu erheben. Man sieht klar, daß wir es mit einem Sprachgelehrten zu tun haben, der von der ganzen, seit sechzig Jahren so gewaltig und so erfolgreich entwickelten historischen Sprachforschung nie reden gehört hat, und der daher »die eminent modernen Bildungselemente« der Sprachschulung nicht sucht bei Bopp, Grimm und Diez, sondern bei Heyse und Becker seligen Andenkens.

Mit allem diesem wäre aber der angehende Zukunftsbürger noch lange nicht »auf sich selbst gestellt«. Hierzu gehört wieder eine tiefere Grundlegung, vermittelst der

»Aneignung der letzten philosophischen Grundlagen«. »Eine solche Vertiefung wird aber ... nichts weniger als eine Riesenaufgabe bleiben«, seitdem Herr Dühring hier reine Bahn gemacht hat. In der Tat, »säubert man das wenige strenge Wissen, dessen sich die allgemeine Schematik des Seins rühmen kann, von den falschen, scholastischen Verschnörkelungen, und entschließt man sich, überall nur die« von Herrn Dühring »beglaubigte Wirklichkeit gelten zu lassen«, so ist die Elementarphilosophie auch der Zukunftsjugend vollständig zugänglich gemacht. »Man erinnere sich der höchst einfachen Wendungen, mit denen wir den Unendlichkeitsbegriffen und deren Kritik zu einer bisher ungekannten Tragweite verholfen haben« - so ist »gar nicht abzusehn, warum die durch die gegenwärtige Vertiefung und Verschärfung so einfach gestalteten Elemente der universellen Raum- und Zeitauffassung nicht schließlich in die Reihe der Vorkenntnisse übergehn sollten ... die wurzelhaftesten Gedanken« des Herrn Dühring »dürfen in der universellen Bildungssystematik der neuen Gesellschaft keine Nebenrolle spielen«. Der sich selbst gleiche Zustand der Materie und die abgezählte Unzahl sind im Gegenteil dazu berufen, den Menschen »nicht nur auf eignen Füßen stehn, sondern auch aus sich selbst wissen zu lassen, daß er das sogenannte Absolute unter den Füßen hat«.

Die Volksschule der Zukunft, wie man sieht, ist nichts als eine etwas »veredelte« preußische Pennalia, auf der Griechisch und Lateinisch durch etwas mehr reine und angewandte Mathematik und namentlich durch die Elemente der Wirklichkeitsphilosophie ersetzt und der deutsche Unterricht wieder auf Becker selig, also etwa bis auf Tertia heruntergebracht wird. Es ist in der Tat »gar nicht abzusehn«, warum die nunmehr von uns auf allen vor ihm berührten Gebieten als höchst schülerhaft nachgewiesenen »Kennt- |300| nisse« des Herrn Dühring oder vielmehr, was nach vorgängiger gründlicher »Säuberung« überhaupt von ihnen übrigbleibt, nicht samt und sonders »schließlich in die Reihe der Vorkenntnisse übergehn sollten«, sintemal sie diese Reihe in Wirklichkeit nie verlassen haben. Freilich hat Herr Dühring auch etwas davon läuten gehört, daß in der sozialistischen Gesellschaft Arbeit und Erziehung verbunden und dadurch eine vielseitige technische Ausbildung, sowie eine praktische Grundlage für die wissenschaftliche Erziehung gesichert werden solle; auch dieser Punkt wird daher für die Sozialität in üblicher Weise dienstbar gemacht. Da aber, wie wir sahen, die alte Arbeitsteilung in der Dühringschen Zukunftsproduktion im wesentlichen ruhig fortbesteht, so ist dieser technischen Schulbildung jede spätere praktische Anwendung, jede Bedeutung für die Produktion selbst, abgeschnitten, sie hat eben nur einen Schulzweck: sie soll die Gymnastik ersetzen, von der unser wurzelhafter Urnwälzer nichts wissen will. Er kann uns daher auch nur ein paar Phrasen bieten, wie z. B.:

»die Jugend und das Alter arbeiten im ernsten Sinne des Worts«.

Wahrhaft jammervoll aber erscheint diese haltungslose und inhaltslose Kannegießerei, wenn man sie vergleicht mit der Stelle im »Kapital«, Seite 508 bis 519 |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 507-514|, wo Marx den Satz entwickelt, daß »aus dem Fabriksystem, wie man im Detail bei Robert Owen verfolgen kann, der Keim der Erziehung der Zukunft entsproß, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen«.

Übergehn wir die Universität der Zukunft, in der die Wirklichkeitsphilosophie den Kern alles Wissens bilden wird und in der neben der medizinischen auch die juristische Fakultät in voller Blüte fortbesteht; übergehn wir auch die »speziellen Fachanstalten«. von denen wir bloß erfahren, daß sie nur »für ein paar Gegenstände« gelten sollen. Nehmen wir an, der junge Zukunftsbürger sei nach Absolvierung aller Schulkurse endlich soweit »auf sich gestellt«, daß er sich nach einer Frau umsehn kann. Welchen Lauf der Dinge eröffnet ihm hier Herr Dühring? »Angesichts der Bedeutsamkeit der Fortpflanzung für Festhaltung, Ausmerzung und Mischung sowie sogar für neue gestaltende Entwicklung von Eigenschaften, muß man die letzten Wurzeln des Menschlichen oder Unmenschlichen zu einem großen |301| Teil in der geschlechtlichen Gesellung und Auswahl und überdies noch in der Sorge für oder gegen einen bestimmten Ausfall der Geburten suchen. Das Gericht über die Wüstheit und Stumpfheit, welche in diesem Gebiet herrschen, muß praktisch einer spätern Epoche überlassen bleiben. Jedoch ist wenigstens soviel von vornherein auch unter dem Druck der Vorurteile begreiflich zu machen, daß weit mehr als die Zahl, sicherlich die der Natur oder menschlichen Umsicht gelungne oder mißlungne Beschaffenheit der Geburten in Anschlag kommen muß. Ungeheuer sind allerdings zu allen Zeiten und unter allen Rechtszuständen der Vernichtung anheimgegeben worden; aber die Stufenleiter vom Regelrechten bis zur Verzerrung in das nicht mehr Menschenähnliche hat viele Sprossen ... Wird dem Entstehn eines Menschen vorgebeugt, der doch nur ein schlechtes Erzeugnis werden würde, so ist diese Tatsache offenbar ein Vorteil.«

Ebenso heißt es an einer andern Stelle:

»Der philosophischen Betrachtung kann es nicht schwerfallen, das Recht der ungebornen Welt auf eine möglichst gute Komposition ... zu begreifen ... Die Konzeption und allenfalls auch noch die Geburt bieten die Gelegenheit dar, um in dieser Beziehung eine vorbeugende oder ausnahmsweise auch sichtende Fürsorge eintreten zu lassen.«

Und ferner:

»Die griechische Kunst, den Menschen in Marmor zu idealisieren, wird nicht das gleiche geschichtliche Gewicht behalten können, sobald die weniger künstlerisch spielende und daher für das Lebensschicksal der Millionen weit ernstere Aufgabe in die Hand genommen wird, die Menschenbildung in Fleisch und Blut zu vervollkommnen. Diese Art Kunst ist keine bloß steinerne, und ihre Ästhetik betrifft nicht die Anschauung toter Formen« usw.

Unser angehender Zukunftsbürger fällt aus den Wolken. Daß es sich beim Heiraten um keine bloß steinerne Kunst handelt, auch nicht um die Anschauung toter Formen, das wußte er allerdings auch ohne Herrn Dühring; aber dieser hatte ihm ja versprochen, er könne alle Wege einschlagen, die ihm der Lauf der Dinge und sein eignes Wesen eröffnen, um ein mitempfindendes weibliches Herz samt dazugehörigem Körper zu finden. Keineswegs, donnert ihm jetzt die »tiefere und strengere Moralität« entgegen. Es handelt sich zuerst darum, die Wüstheit und Stumpfheit abzulegen, die auf dem Gebiet der geschlechtlichen Gesellung und Auswahl herrschen, und dem Recht der neugebornen Welt auf eine möglichst gute Komposition Rechnung zu tragen. Es handelt sich für ihn in diesem feierlichen Moment darum, die Menschenbildung in Fleisch und Blut zu vervollkommnen, sozusagen ein Phidias in Fleisch und Blut zu werden. Wie das anfangen? Die obigen mysteriösen Äußerungen des Herrn Dühring |302| geben ihm nicht die geringste Anleitung dazu, obwohl dieser selbst sagt, es sei eine »Kunst«. Sollte Herr Dühring vielleicht auch schon ein Handbuch zu dieser Kunst »schematisch vor Augen« haben, ähnlich etwa wie deren so mancherlei heutzutage verklebt im deutschen Buchhandel umlaufen? In der Tat befinden wir uns hier schon nicht mehr in der Sozialität, sondern vielmehr in der »Zauberflöte«, nur daß der behäbige Freimaurerpfaff Sarastro kaum als ein »Priester zweiter Klasse« gelten kann, gegenüber unserm tiefern und strengern Moralisten. Die Proben, die jener mit seinem Liebespärchen von Adepten vornahm, sind ein wahres Kinderspiel gegen die Schauerprüfung, die Herr Dühring seinen beiden souveränen Individuen aufnötigt, ehe er ihnen gestattet, in den Stand der »sittlichen und freien Ehe« zu treten. So kann es ja vorkommen, daß unser »auf sich selbst gestellter« Zukunfts-Tamino zwar das sogenannte Absolute unter den Füßen hat, einer dieser Füße aber um ein paar Leitersprossen vom Regelrechten abweicht, so daß böse Zungen ihn einen Klumpfuß nennen. Auch liegt es im Bereich der Möglichkeit, daß seine herzallerliebste Zukunfts-Pamina auf besagtem Absoluten nicht ganz grade steht, infolge einer leichten Verschiebung zugunsten der rechten Schulter, die der Neid sogar für ein gelindes Buckelchen ausgibt. Was dann? Wird unser tieferer und strengerer Sarastro ihnen verbieten, die Kunst der Menschenvervollkommnung in Fleisch und Blut zu praktizieren, wird er seine »vorbeugende Fürsorge« bei der »Konzeption« oder seine »sichtende« bei der Geburt« geltend machen? Zehn gegen eins, die Dinge verlaufen anders; das Liebespärchen läßt Sarastro-Dühring stehn und geht zum Standesbeamten.

Halt! ruft Herr Dühring. So war es nicht gemeint. Laßt doch mit euch reden.

Bei den »höhern, echt menschlichen Beweggründen der heilsamen Geschlechtsverbindungen ... ist die menschlich veredelte Gestalt der Geschlechtserregung, deren Steigerung sich als leidenschaftliche Liebe kundgibt, in ihrer Doppelseitigkeit die beste Bürgschaft für die auch in ihrem Ergebnis zuträgliche Verbindung ... es ist nur eine Wirkung zweiter Ordnung, daß aus einer an sich harmonischen Beziehung auch ein Erzeugnis von zusammenstimmendem Gepräge hervorgehe. Heraus folgt wiederum, daß jeder Zwang schädlich wirken muß« usw.

Und hiermit erledigt sich alles aufs schönste in der schönsten der Sozialitäten. Klumpfuß und Buckelchen lieben einander leidenschaftlich und bieten daher auch in ihrer Doppelseitigkeit die beste Bürgschaft für eine harmonische »Wirkung zweiter Ordnung«, es geht wie im Roman, sie lieben sich, sie kriegen sich, und all die tiefere und strengere Moralität verläuft wie gewöhnlich in harmonischem Larifari.

|303| Welche noblen Vorstellungen Herr Dühring überhaupt vom weiblichen Geschlecht hat, ergibt sich aus folgender Anklage gegen die heutige Gesellschaft:

»Die Prostitution gilt in der auf Verkauf des Menschen an den Menschen gegründeten Unterdrückungsgesellschaft als selbstverständliche Ergänzung der Zwangsehe zugunsten der Männer, und es ist eine der begreiflichsten, aber auch bedeutungsvollsten Tatsachen, daß es etwas Ähnliches für die Frauen nicht geben kann.«

Den Dank, der Herrn Dühring für dies Kompliment von seiten der Frauen zuteil werden dürfte, möchte ich nicht um alles in der Welt einheimsen. Sollte indes Herrn Dühring die nicht mehr ganz ungewöhnliche Einkünfteart der Schürzenstipendien gänzlich unbekannt sein? Und Herr Dühring ist doch selbst Referendar gewesen und wohnt in Berlin, wo doch schon zu meiner Zeit, vor sechsunddreißig Jahren, um von den Lieutenants nicht zu reden, Referendarius sich oft genug reimte auf Schürzenstipendarius!


Man gestatte uns, von unserm Gegenstand, der sicher oft trocken und trist genug war, in versöhnend-heiterer Weise Abschied zu nehmen. Solange wir die einzelnen Fragepunkte abzuhandeln hatten, war das Urteil gebunden durch die objektiven, unbestreitbaren Tatsachen; es mußte nach diesen Tatsachen oft genug scharf und selbst hart ausfallen. Jetzt, wo Philosophie, Ökonomie und Sozialität hinter uns liegen, wo das Gesamtbild des Schriftstellers vor uns steht, den wir im einzelnen zu beurteilen hatten, jetzt können menschliche Rücksichten in den Vordergrund treten; jetzt wird es uns gestattet, manche sonst unbegreifliche wissenschaftliche Abirrungen und Überhebungen zurückzuführen auf persönliche Ursachen, und unser Gesamturteil über Herrn Dühring zusammenzufassen in den Worten: Unzurechnungsfähigkeit aus Größenwahn.


Fußnote von Friedrich Engels:
(9) Dieser spätere Doppelcharakter der Göttergestalten ist ein von der vergleichenden Mythologie, die sich einseitig an deren Charakter als Reflexe von Naturmächten hält, übersehener Grund der später einreißenden Verwirrung der Mythologien. So heißt bei einigen germanischen Stimmen der Kriegsgott altnordisch Tyr, althochdeutsch Zio, entspricht also dem griechischen Zeus, lateinisch Jupiter für Diespiter; bei andern Er, Eor, entspricht also dem griechischen Ares, lateinisch Mars.

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